Text über Dörfer vor dem Idarwald von Uwe Anhäuser, Hunsrück und Naheland, DuMont-Kunst-Reiseführer, 1987


Bruchweiler und seine Nachbarorte liegen an der touristischen ›Deutschen Edelsteinstraße‹, die sich im Umkreis bzw. wirtschaftshistorischen Einzugsbereich der ›Schmuckmetropole‹ Idar-Oberstein durch die Landschaft schlängelt. Zugleich könnte man sie aber auch eine ›Straße der Stumm-Orgeln‹ nennen, denn die in Sulzbach bei Rhaunen ansässigen Instrumentenbauer haben den weit überwiegenden Teil der Dorfkirchen hier mit ihren Werken ausgestattet. So auch das hübsche kleine Gotteshaus (1744-46) in Bruchweiler, der außerdem an einer Emporenbrüstung bemerkenswerte Gemälde der Entstehungszeit präsentiert. Bruchweiler eine beliebte Urlaubsregion, was sich schon beim Durchfahren an der zahlreichen Gasthäusern und Hotels zu erkennen gibt. Hoch über Kempfeld ragt der nach 1980 wiedererrichtete Bergfried der Wildenburg aus den Wäldern. Auch die mittelalterlichen Ruinen sind zum Teil restauriert worden (Burggaststätte); sie lehnen sich an einen großen prähistorischen Ringwall.

Ebenfalls ganz nahe bei Bruchweiler liegt auch Schauren, das an seiner Ortsstraße etliche Bauernhäuser in ansehnlichem Fachwerkstil (teils verschiefert) dieser charakteristischen ›Dörfer vor dem Wald‹ herzeigt. Mit Schiefer beschlagen ist auch der Dachreiter seiner Kirche (1767): den kurzen, dreiseitigen geschlossenen Saalbau betritt man durch eine kleine hölzerne Vorhalle. Die hübsche alte Ausmalung der Barockzeit ist derjenigen in Stipshausen vergleichbar; die Orgel (1780) entstammt der Stummschen Fabrikation.

Auf der Weiterfahrt unter der Flanke des Idarwaldes empfiehlt sich ein Abstecher nach Hellertshausen und Asbach, zwei Dörfern von bäuerlichem Gepräge in idyllischer Landschaft. An Asbachs Ortsrand erhebt sich hinten auf dem Friedhof das mit Alabasterreliefs verzierte Grabmal für den Hüttenherrn Rudolf Heinrich Böcking (1810-1871), der von seinem Großvater Friedrich Philipp Stumm (1751-1835) den Eisenhammer drunten an der Asbacherhütte (heute Behindertenheim) im Fischbachtal ererbt hatte. Sein Bruder Gustav Böcking bekam damals das Eisenwerk in Abentheuer (bei Birkenfeld) und Eduard Böcking als dritter Spross der Stumm-Familie die Gräfenbacherhütte im Soonwald. Diese Erbteilung markiert einerseits den Zusammenhang zwischen der Schmiede- und Orgelbauerfamilie Stumm und der Böckingschen ›Industriellen-Dynastie‹, und sie wirft zum anderen ein Schlaglicht bis hinüber ins Saarland, wo die ›Stummsche Ära‹ für die dortige Eisenbauindustrie (z.B. Neinkirchen) von höchster Bedeutung war. Die feinen Reliefs unter dem Bildnismedaillon auf Böckings Grabstein zeigen Motive aus Bergbau und Hüttenwesen, wobei die für seine Zeit ausgesprochen vorbildlichen Sozialleistungen des Hüttenherrn exemplarisch illustriert werden.

Das Nebensträßchen von Asbach über Hellertshausen nach Hottenbach fädelt sich durch üppige Feldfluren. Bald taucht über den Schieferdächern der wuchtige Chorturm (13.Jh.) der 1903 als wohlproportionierter Zentralbau über älteren Fundamenten erbauten Dorfkirche auf. Hottenbachs ehrwürdige Vergangenheit zeigt sich hier dokumentiert durch einen römischen Viergötterstein aus einem nahe gelegenen Tempelbezirk, durch sehenswerte Relikte gotischer Fresken, die geschnitzte Kanzel (1701) und eine Stumm-Orgel (1782). Bevor man sich nun die Dorfstraße aufwärts wieder zur Waldstraße Schauren - Stipshausen hin orientiert, könnte abermals ein kurzer Abstecher ins Dörfchen Weiden unternommen werden: Dort hat einstens der Schinderhannes (wie auch in Hottenbach) schlimme Überfälle begannen. Von ungleich größerer Geschichtsbedeutung ist jedoch das Bleibergwerk ›Aurora‹ gewesen, an welches beim Ortseingang ein schlichter Gedenkstein erinnert. Von dieser Grube hieß es noch 1899: »Das Erz ist das reichhaltigste in Deutschland, ca. 80% Blei enthaltend. Der Doppelzentner enthält ungefähr 25g Silber.«

Auf der erwähnten Waldstraße (rechts unten am Kappelbach die alten Hottenbacher Mühlen) geht es nun weiter nach Stipshausen, dessen evangelische Pfarrkirche (1772-79) ihren blauschwarz verschieferten Dachreiter über die Häuser reckt. Dieses Gotteshaus mit seiner hübschen hölzernen Vorhalle zählt unter den Hunsrücker Kirchen dank der vollständig erhaltenen barocken Ausmalung zu den kunsthistorisch hochrangigstenObjekten. Das holzverkleidete Tonnengewölbe ist über und über mit farbigen Rocaillekartuschen ausgeschmückt; gegenständliche Motive (Leben Jesu) gewahrt man im Chorschluss sowie an Emporenbrüstung und Kanzel. An einem Seitensträßchen erhebt sich nahe dieser ungewöhnlich reich ausgemalten Kirche der Saalbau der katholischen Maternus-Kapelle (1781). Funde im Distrikt ›Heilig' Geist‹ im Wald am oberen Ortsrand haben für Stipshausen eine Kultstätte bereits für die Römerzeit bezeugt; von hier aus führt die alte Straße über den Idarkopf zum Sirona-Heiligtum bei Hochscheid und weiter zur Hunsrückhöhenstraße beim einstigen Belginum. An neuzeitlichen Sehenswürdigkeiten bietet das Dorf im übrigen zwei edelsteinverarbeitende Betriebe, die jeweils symptomatisch für die Anpassung des historischen Kunstgewerbes an aktuelle Verhältnisse sind. Während in der Schleiferei Stoffel eine Verkaufsausstellung jederzeit für Besucher geöffnet ist, arbeitet Bernd Munsteiner in seinem Atelier an der Wiesenstraße als ›Avantgardist‹ mit neuartigen Schliffen und hat es in seinem Metier zu internationalem Ansehen gebracht.

Von Stipshausen nach Rhaunen könnte man unterwegs nach Weitersbach abzweigen, wo neben einer malerischen Baumgruppe oberhalb des Dörfchens die Fundamente einer nach vollständiger Ausgrabung wieder zugedeckten großen Römervilla unter der Ackerkrume liegen; eine weitere Straßengabelung führte von dort auch nach Krummenau und Horbruch an der ›Ausonius-Straße‹. Auf Rhaunen zu kommt man dagegen am prähistorischen ›Königsstein‹ vorbei, einem Menhir gleich neben der Fahrbahn.

Der historische Amtssitz Rhaunen ist bereits 841 als ›Hruna‹ genannt worden und steht auf römerzeitlichen Ruinen. Später waren die Wild- und Rheingrafen hier begütert, indes die Schmidtburger Herren im 14. Jahrhundert dem Erzbischof Balduin von Trier ein Viertel des Dorfes abtreten mussten. Das Oberamtshaus der wildgräflichen und der kurtrierischen Epoche ist heute Gaststätte; nebenan erhebt sich das verschieferte Rathaus (1793) über den vier wuchtigen Holzsäulen einer offenen Vorhalle. Die evangelische Pfarrkirche wurde schon 1277 erwähnt. Aus dieser Zeit stammt ihr von gotischem Helm (mit vier Ecktürmchen) bekrönter Turm neben dem dreiseitigen Chor (15. Jh.). Innen verdienen Beachtung eine spätgotische  Sakramentsnische und vor allem die Stumm-Orgel (1723) als eines der ersten und vorzüglichsten Instrumente aus dieser Werkstatt.

Kurze Ausflüge kann man von Rhaunen ins landschaftlich herrliche Tal des Hahnenbaches (Kyrbach-Oberlauf) und hinüber nach Woppenroth zum Lützelsoon unternehmen. An einem Seitenbach erblickt man das nette Ortsbild von Hausen mit seiner auf Felsgrund errichteten Kirche (1747), deren Turmuntergeschosse noch aus dem 12. Jahrhundert herrühren, was durch die als Spoilen eingemauerten Reliefs (Kopf und Drachentöter) augenscheinlich bestätigt wird. Das Nachbardorf Oberkirn liegt mit seinen alten Bauernhäusern unterhalb einer schlichten Kirche (18.Jh.), an deren Außenwand die Grabplatte des lebensgroß im Relief abgebildeten Franz Brune von Schmidtburg (gest. 1573) lehnt. Zur anderen Seite des Hahnenbaches gelangt man von Rhaunen nach Bundenbach, dem ›Dorf der Layenbrecher‹, oberhalb des keltischen Oppidums Altburg und der ehrwürdigen Schmidtburg-Ruine. Ein Seitensträßchen verläuft durchs hügelige Ackerland nach Bollenbach, einem behaglichen Ort mit alten Gehöften, und dann weiter nach Sulzbach (das über eine größere Verbindungsstraße in Richtung Herrstein aber auch schnell von Rhaunen zu erreichen ist).

Oberhalb Sulzbachs markiert ein von Gebüschen bestandener Hügel den einst bedeutenden Marktplatz Heuchelheim, über welchen schon ein Römerstraße führte, neben der ein steinerner Pinienzapfen (vielleicht Bekrönung eines Grabmals) gefunden wurde. Auch das Gelände nach Hottenbach zu, rings um die flachen Quellmulden des Hosenbaches, barg (und birgt wohl noch immer) eine große Zahl antiker Grabfunde und Siedlungsreste. Zwischen Sulzbach und Oberhosenbach verläuft durch Hochwald bis hart an Dörfchen Wickenrodt ein über mehrere Kilometer noch original erhaltenes Stück der Römerstraße, neben welcher weiter südlich im Waldstück ›Hirtenbösch‹ aus Grabhügel außer Bronzekränzen und sonstigen Beigaben auch eine unversehrt erhaltene römische Glasurne (jetzt im Kreismuseum Birkenfeld) ans Tageslicht kam. Dieselbe Straße, die man mit einer guten Karte bis hinab ins Nahetal bei Fischbach verfolgen und erwandern kann, durchquert nach den gleichfalls fundträchtigen Walddistrikten Ochsenbeck und Perchwald die noch unausgegrabene Römersiedlung Vassiniacum bei Bergen und Berschweiler.

Zurück aber vorerst nach Sulzbach, wo man sich in der letzten Zeit erfolgreich darum bemüht hat, das Andenken der Orgelbauerfamilie Stumm zu pflegen: Im Kirchensaal (18.Jh.) unter dem alten Chorturm (13. Jh). steht als Prachtstück ein vorzügliches Instrument.